maandag 22 februari 2016

Wenn eine Familie ganz langsam ihre Kinder verliert

In der Schweiz leben 13 Menschen mit der unheilbaren Krankheit, also etwa einer von 650 000 Menschen ist betroffen, weltweit soll es laut Schätzungen einer von 150 000 sein. In der Familie Petric in Oberentfelden sind es gleich zwei.

Keine Hoffnung auf Heilung

Es muss ein sehr grosser Zufall sein, dass sich zwei Menschen mit demselben rezessiv vererbten Gendefekt treffen und gemeinsam Kinder haben. Und selbst dann liegt die Chance auf ein gesundes Kind noch bei 75 Prozent.
Marko und Valeria hatten dieses Glück nicht. Beide leiden an Niemann Pick C. «Das heisst, dass sie langsam all ihre erlernten Fähigkeiten wie zum Beispiel Laufen, Sprechen, Denken und Schlucken wieder verlieren», sagt Milijana Petric, die acht Jahre lang mit Marko von einem Arzt zum nächsten fahren musste, um dann zu erfahren, dass es für ihren Sohn keine Hoffnung auf Heilung gibt. 
Die Diagnose hat das Leben der Familie komplett verändert. «Marko war als Kind überdurchschnittlich intelligent und sehr interessiert. Auf einmal begann er aber, in der Schule Dinge zu vergessen, die er zuvor noch gewusst hatte, das war besonders schlimm für ihn.»
Er war gern um Kinder herum, wollte aber nicht mit ihnen spielen. «Die Ärzte gingen anfangs von psychischen Krankheiten wie Autismus oder Schizophrenie aus», erinnert sich die Mutter. «Doch bald wurde er immer ungeschickter. Und dann begannen die epileptischen Anfälle.» 2005, also als Marko 7 Jahre alt war, traten die ersten Symptome auf. 2013 erhielt er die hoffnungslose Diagnose.
Zur gleichen Zeit wurde seine Schwester schlechter in der Schule. «Man dachte, dass natürlich auch sie vom schlechten Zustand ihres Bruders psychisch mitgenommen würde.» Aber das allein war es nicht. «Zu erfahren, dass auch Valeria an derselben Krankheit leidet, war nochmals ein unglaublich schlimmer Schock», sagt die Mutter mit Tränen in den Augen.

24 Stunden am Tag betreut

Milijana Petrics eigenes Leben hat sich komplett geändert. Die ausgebildete Coiffeuse hat zuletzt als Leiterin der Wäscherei im Altersheim Oberentfelden gearbeitet. «Seit der Diagnose habe ich erst weiter reduziert: Dank meinen guten Vorgesetzten konnte ich dann arbeiten, wenn die Kinder in der Schule waren.
Aber die HPS, also die heilpädagogische Schule, wollte irgendwann die Verantwortung für Markos Leben nicht mehr tragen, denn er konnte jederzeit an seinem eigenen Speichel ersticken und muss auch heute oft abgesaugt werden. Dazu kamen die epileptischen Anfälle», berichtet die Mutter. «Ich kann der Schule diesen Entscheid nicht übel nehmen.» Seither betreut sie ihren Sohn rund um die Uhr daheim.
«Anfangs habe ich das alleine geschafft, denn Valeria durfte ein Jahr auf eine Privatschule gehen. Doch auch ihre Pflegebedürftigkeit wurde zu gross für das dortige Personal.» Valeria mochte es nicht, dass sie von der Privatschule, wo es ihr sehr gefallen hat, in die HPS in Aarau wechseln musste. Mittlerweile habe sie sich aber eingelebt und verbringt jeden Morgen zwei Stunden da. Den Rest des Tages ist sie bei ihrer Familie zu Hause.
«Noch vor zehn Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich das alles schaffen würde», sagt Milijana Petric. «Aber irgendwie geht es, irgendwoher kommt die Kraft.» Sie ist rund um die Uhr für ihre Kinder da, lebt von der Invalidenversicherung und anderen Fördergeldern. Hilfe erhält sie stundenweise von der Spitex und Therapeutinnen. «Die grösste Hilfe ist aber mein Partner Muhamed. Er erhält mittlerweile auch einen Lohn für seine Arbeit und ist mit mir zusammen 24 Stunden am Tag für die Betreuung der beiden zuständig.»

Seltene Krankheiten sind nicht selten

In der Schweiz leiden rund 350 000 Kinder und Jugendliche an seltenen Krankheiten. Doch eine solche Diagnose stellt das Leben der ganzen Familie auf den Kopf. Darum setzen sich Fördervereine für die Betroffenen ein. So auch der gemeinnützige Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK). Seine Ziele sind die Organisation von finanzieller Direkthilfe für betroffene Familien, die Verankerung des Themas in der Öffentlichkeit sowie die Ermöglichung von Austausch zwischen betroffenen Familien, Fachärzten und Forschung. Er finanziert beispielsweise die Teilnahme an medizinischen Studien im Ausland, alternative Behandlungsmöglichkeiten und Ferien- und Erhol-Wochenenden für Angehörige und Betreuer.
Am Samstag, 27. Februar, organisiert er den Tag der seltenen Krankheiten, einen Charity-Event für betroffene Familien in der Kindercity Volketswil. Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit spricht über die Umsetzung des nationalen Konzeptes «Seltene Krankheiten», und betroffene Familien berichten von ihren Erfahrungen. Mehr Infos unter www.kmsk.ch. (aw)
Valeria zeigt durch ihr Strahlen, wie gern sie Muhamed hat, und lässt sich gerne von ihm aus dem Rollstuhl in ihre Gehhilfe befördern. Der leibliche Vater der beiden hat sich schon zuvor kaum mehr gemeldet, «aber nach der Diagnose haben wir überhaupt nichts mehr von ihm gehört».

Freunde zogen sich zurück

«Ich darf einfach nicht an die Vergangenheit oder die Zukunft denken, sonst wäre all das noch viel schwerer zu ertragen», sagt Milijana Petric unter Tränen. Wie viele Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden müssen, findet sie in ihrem Glauben an Gott Halt. So kann sie stark sein, und das beinahe pausenlos: «Seit über zwei Jahren waren wir nicht mehr im Urlaub oder hatten auch nur ein Wochenende frei. Aber nicht, weil wir nicht gehen könnten», erklärt sie.
«Aber ich kann die Verantwortung über meine Kinder nicht einfach den Betreuerinnen überlassen, auch wenn sie gut für sie sorgen. Marko könnte jederzeit einen schlimmen Anfall haben und ersticken, davor haben wir alle Angst. Ich will bei ihm sein. Ich kann nicht einfach abschalten, ich wäre in Gedanken sowieso immer bei meinen Kindern.» So lebt die Familie zurückgezogen, Verwandte und Freunde besuchen sie kaum noch, und umgekehrt können sie keine Besuche machen, «denn Marko kann nicht lange sitzen, sonst steigt das Risiko für einen Anfall». Milijana ist froh, sich im Verein für Kinder mit seltenen Krankheiten (siehe Box) mit anderen betroffenen Eltern austauschen zu können.
Ihre Wohnung hat sich die Familie Petric sehr schön, bunt und lebensfroh eingerichtet. Und genau diese Lebensfreude strahlen Milijana, Muhamed und auch Valeria aus, obwohl man merkt, wie sehr die ganze Familie leidet. Es ist unglaublich, zu sehen, wie stark die vier mit ihrem schweren Schicksal umgehen.

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