In
der Schweiz leben 13 Menschen mit der unheilbaren Krankheit, also etwa
einer von 650 000 Menschen ist betroffen, weltweit soll es laut
Schätzungen einer von 150 000 sein. In der Familie Petric in
Oberentfelden sind es gleich zwei.
Keine Hoffnung auf Heilung
Es
muss ein sehr grosser Zufall sein, dass sich zwei Menschen mit
demselben rezessiv vererbten Gendefekt treffen und gemeinsam Kinder
haben. Und selbst dann liegt die Chance auf ein gesundes Kind noch bei
75 Prozent.
Marko
und Valeria hatten dieses Glück nicht. Beide leiden an Niemann Pick C.
«Das heisst, dass sie langsam all ihre erlernten Fähigkeiten wie zum
Beispiel Laufen, Sprechen, Denken und Schlucken wieder verlieren», sagt
Milijana Petric, die acht Jahre lang mit Marko von einem Arzt zum
nächsten fahren musste, um dann zu erfahren, dass es für ihren Sohn
keine Hoffnung auf Heilung gibt.
Die
Diagnose hat das Leben der Familie komplett verändert. «Marko war als
Kind überdurchschnittlich intelligent und sehr interessiert. Auf einmal
begann er aber, in der Schule Dinge zu vergessen, die er zuvor noch
gewusst hatte, das war besonders schlimm für ihn.»
Er
war gern um Kinder herum, wollte aber nicht mit ihnen spielen. «Die
Ärzte gingen anfangs von psychischen Krankheiten wie Autismus oder
Schizophrenie aus», erinnert sich die Mutter. «Doch bald wurde er immer
ungeschickter. Und dann begannen die epileptischen Anfälle.» 2005, also
als Marko 7 Jahre alt war, traten die ersten Symptome auf. 2013 erhielt
er die hoffnungslose Diagnose.
Zur
gleichen Zeit wurde seine Schwester schlechter in der Schule. «Man
dachte, dass natürlich auch sie vom schlechten Zustand ihres Bruders
psychisch mitgenommen würde.» Aber das allein war es nicht. «Zu
erfahren, dass auch Valeria an derselben Krankheit leidet, war nochmals
ein unglaublich schlimmer Schock», sagt die Mutter mit Tränen in den
Augen.
24 Stunden am Tag betreut
Milijana
Petrics eigenes Leben hat sich komplett geändert. Die ausgebildete
Coiffeuse hat zuletzt als Leiterin der Wäscherei im Altersheim
Oberentfelden gearbeitet. «Seit der Diagnose habe ich erst weiter
reduziert: Dank meinen guten Vorgesetzten konnte ich dann arbeiten, wenn
die Kinder in der Schule waren.
Aber
die HPS, also die heilpädagogische Schule, wollte irgendwann die
Verantwortung für Markos Leben nicht mehr tragen, denn er konnte
jederzeit an seinem eigenen Speichel ersticken und muss auch heute oft
abgesaugt werden. Dazu kamen die epileptischen Anfälle», berichtet die
Mutter. «Ich kann der Schule diesen Entscheid nicht übel nehmen.»
Seither betreut sie ihren Sohn rund um die Uhr daheim.
«Anfangs
habe ich das alleine geschafft, denn Valeria durfte ein Jahr auf eine
Privatschule gehen. Doch auch ihre Pflegebedürftigkeit wurde zu gross
für das dortige Personal.» Valeria mochte es nicht, dass sie von der
Privatschule, wo es ihr sehr gefallen hat, in die HPS in Aarau wechseln
musste. Mittlerweile habe sie sich aber eingelebt und verbringt jeden
Morgen zwei Stunden da. Den Rest des Tages ist sie bei ihrer Familie zu
Hause.
«Noch
vor zehn Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich das alles
schaffen würde», sagt Milijana Petric. «Aber irgendwie geht es,
irgendwoher kommt die Kraft.» Sie ist rund um die Uhr für ihre Kinder
da, lebt von der Invalidenversicherung und anderen Fördergeldern. Hilfe
erhält sie stundenweise von der Spitex und Therapeutinnen. «Die grösste
Hilfe ist aber mein Partner Muhamed. Er erhält mittlerweile auch einen
Lohn für seine Arbeit und ist mit mir zusammen 24 Stunden am Tag für die
Betreuung der beiden zuständig.»
Seltene Krankheiten sind nicht selten
In
der Schweiz leiden rund 350 000 Kinder und Jugendliche an seltenen
Krankheiten. Doch eine solche Diagnose stellt das Leben der ganzen
Familie auf den Kopf. Darum setzen sich Fördervereine für die
Betroffenen ein. So auch der gemeinnützige Förderverein für Kinder mit
seltenen Krankheiten (KMSK). Seine Ziele sind die Organisation von
finanzieller Direkthilfe für betroffene Familien, die Verankerung des
Themas in der Öffentlichkeit sowie die Ermöglichung von Austausch
zwischen betroffenen Familien, Fachärzten und Forschung. Er finanziert
beispielsweise die Teilnahme an medizinischen Studien im Ausland,
alternative Behandlungsmöglichkeiten und Ferien- und Erhol-Wochenenden
für Angehörige und Betreuer.
Am
Samstag, 27. Februar, organisiert er den Tag der seltenen Krankheiten,
einen Charity-Event für betroffene Familien in der Kindercity
Volketswil. Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit spricht über die
Umsetzung des nationalen Konzeptes «Seltene Krankheiten», und betroffene
Familien berichten von ihren Erfahrungen. Mehr Infos unter www.kmsk.ch.
(aw)
Valeria
zeigt durch ihr Strahlen, wie gern sie Muhamed hat, und lässt sich
gerne von ihm aus dem Rollstuhl in ihre Gehhilfe befördern. Der
leibliche Vater der beiden hat sich schon zuvor kaum mehr gemeldet,
«aber nach der Diagnose haben wir überhaupt nichts mehr von ihm gehört».
Freunde zogen sich zurück
«Ich
darf einfach nicht an die Vergangenheit oder die Zukunft denken, sonst
wäre all das noch viel schwerer zu ertragen», sagt Milijana Petric unter
Tränen. Wie viele Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden
müssen, findet sie in ihrem Glauben an Gott Halt. So kann sie stark
sein, und das beinahe pausenlos: «Seit über zwei Jahren waren wir nicht
mehr im Urlaub oder hatten auch nur ein Wochenende frei. Aber nicht,
weil wir nicht gehen könnten», erklärt sie.
«Aber
ich kann die Verantwortung über meine Kinder nicht einfach den
Betreuerinnen überlassen, auch wenn sie gut für sie sorgen. Marko könnte
jederzeit einen schlimmen Anfall haben und ersticken, davor haben wir
alle Angst. Ich will bei ihm sein. Ich kann nicht einfach abschalten,
ich wäre in Gedanken sowieso immer bei meinen Kindern.» So lebt die
Familie zurückgezogen, Verwandte und Freunde besuchen sie kaum noch, und
umgekehrt können sie keine Besuche machen, «denn Marko kann nicht lange
sitzen, sonst steigt das Risiko für einen Anfall». Milijana ist froh,
sich im Verein für Kinder mit seltenen Krankheiten (siehe Box) mit
anderen betroffenen Eltern austauschen zu können.
Ihre
Wohnung hat sich die Familie Petric sehr schön, bunt und lebensfroh
eingerichtet. Und genau diese Lebensfreude strahlen Milijana, Muhamed
und auch Valeria aus, obwohl man merkt, wie sehr die ganze Familie
leidet. Es ist unglaublich, zu sehen, wie stark die vier mit ihrem
schweren Schicksal umgehen.
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